Der Film „Die Tour fürs Leben“ ist am Donnerstag, 6. April, ab 19.30 Uhr im Stadtteilzentrum Kitzingen zu sehen. Andreas Beseler, der die Diagnose MS erhielt, berichtet darin, wie er mit Rad statt Rolli lebt.

Das pelzige Gefühl kam erstmals im Herbst 1992. Die halbe Innenseite der rechten Hand wurde plötzlich taub, kurz darauf auch das rechte Bein. „Ein Freund hat mich gefragt, ob ich betrunken sei, weil ich so komisch laufe“, erinnert sich Speditionskaufmann Andreas Beseler, genannt Besi. Nachts wurde es noch schlimmer. Besi konnte kaum mehr laufen. Dann, mit 27 Jahren, erhielt er die Diagnose: MS, Multiple Sklerose.

Du hast Krämpfe und Spasmen bekommen, der Arzt hat Dir einen Rollstuhl verschrieben. Warum hast Du Dich nicht hineingesetzt?

Andreas Beseler: Mein Körper hat damals rasant abgebaut. Auf Deutsch gesagt, habe ich mich vollgepinkelt und vollgeschissen. Ich habe vor Zorn geheult. Es war schrecklich für mich, auf andere angewiesen zu sein. Dann hatte ich aber ein paarmal Glück. Vor allem an dem Tag, an dem ich mir in einem Sanitätshaus einen Rollstuhl raussuchen wollte. Der Inhaber des Sanitätshauses hat zu mir gesagt: „Mensch, Junge, versuch’s doch erst mal mit ’nem Gehstock. Im Rolli kannste noch lange genug sitzen.“ Ich hab’ also einen Stock genommen – für  elf Euro statt 6000 Euro für den Rolli. Damit bin ich  gelaufen wie Frankenstein, mein Gleichgewichtssinn war total verdreht.

Dann kam der Tag, als ein Freund, mit dem Du früher Mountainbike-Rennen gefahren bist, Dich aufs Fahrrad gesetzt hat. War das die entscheidende Wende?

Ja, irgendwie schon. Ich war wie ein kleines Kind. Berthold ist neben mir hergelaufen und ich hab’ immerzu gerufen: „Ich fall’ gleich…“ Tatsächlich hat’s mich auch erst mal voll in den Graben gefeuert. Aber mit der Zeit wurde ich  sicherer.

Haben die Ärzte das Radfahren „erlaubt“?

Ich habe gemerkt, dass die Bewegung mir sehr gut tut und dass mein Körper mir wieder besser gehorcht. Ich bin froh, dass ich damals nicht das gemacht hab’, was der Professor mir geraten hat – nämlich mich zu schonen. Sonst säße ich jetzt sicher im Rollstuhl.

Wie kommt es, dass Du so gut Rad fahren kannst, während Laufen Dir schwer fällt?

Die Ärzte erklären es so: Mein Hirn kriegt auf dem Rad keine Fehlfunktion, weil ich nicht auf eigenen Beinen stehe. Ich fahre immer mit sehr hohem Gegendruck, also in einem großen Gang.

Vor fünf Jahren hast Du das Projekt „Rad statt Rollstuhl“ gestartet. Was ist das?

Eine große Benefizaktion. Zunächst haben wir Sponsoren gesucht. Mit  einem Freund, dem Armin, bin ich 2013 nach Kanada geflogen und mit dem Rennrad  3800 Kilometer durch die Rocky Mountains gefahren. Ich wollte zeigen, dass es sich lohnt, gegen das „Schicksal“ anzukämpfen. Meine Botschaft ist: Nicht aufgeben!

Ihr habt nach der Kanada-Reise noch weitere Benefiz-Aktionen veranstaltet. Was sind Deine Erfahrungen damit? 

Zusammen kann man Berge versetzen! Zum Beispiel sind wir letztes Jahr von Rodgau, meiner Heimat, nach St. Tropez gefahren. Da waren Leute mit Lungen- und Blutkrebs dabei, Leute ohne Waden, Leute mit Klumpfüßen… Aus einer Gruppe von Individualisten ist ein tolles Team geworden. Kranke sind über sich hinausgewachsen, Gesunde haben sehr viel von Menschen mit Handicap gelernt. Insgesamt haben wir bei drei großen Rad-Events – Kanada, Barcelona und St. Tropez –  über 150 000 Euro für die Nathalie-Todenhöfer-Stiftung gesammelt, die sich für MS-Kranke in Not einsetzt.

Du hast viel erreicht, wurdest   Vize-Europameister in der Mixed-Staffel beim Ironman-Triathlon und Sieger des Mallorca-Marathons. Welches Erlebnis ist Dir besonders wichtig?

Was mir am meisten Pipi in die Augen treibt, ist, was sich mit „Rad statt Rollstuhl – Besi & Friends“ entwickelt hat. Immer wieder kommen neue Leute zu unserem Team dazu, wir haben einen ganz großen Zusammenhalt und geben vielen Leuten viel Hoffnung. Das ist das schönste Geschenk! Und viel mehr wert als jeder Sieg…

Wie geht es Dir aktuell – fast 25 Jahre nach der Diagnose MS?

Meine Krankheit hat sich trotz Leistungssport verschlechtert, die Konzentrationsfähigkeit hat ab- und die Müdigkeit zugenommen.

Was ist Dein größtes Ziel?

Mein privates Ziel ist: Ich will mich so lange wie möglich fit halten und meiner Familie, meinem Umfeld und auch der Gesellschaft so wenig wie möglich zur Last zu fallen. Und mit „Besi & Frieds“ will ich 2018 bei „Race across America“ starten, dem härteste Radrennen der Welt.

Es gibt sogar einen Kinofilm über Dich: „Die Tour fürs Leben“. Wie kam das?

Journalisten haben mich immer wieder mal begleitet. Filmemacher Christian Groppner war 2013 in Kanada dabei, außerdem bei der Benefiz-Tour nach Barcelona. Danach hat er gesagt: „Da mach’ ich ’nen Kinofilm draus.“ Mit 22 000 Euro aus Crowdfunding hat er „Die Tour fürs Leben“ produziert.

Was für ein Film ist das?

Ein  118-minütiger Mutmach-Film.

Weitere Informationen zum Film „Die Tour fürs Leben“ finden Sie unter www.rad-statt-rollstuhl.de/. Der Eintritt ist frei, Spenden sind willkommen. Einlass ist ab 19 Uhr. Das Stadtteilzentrum befindet sich in der Königsberger Str. 11, 97318 Kitzingen.

Information: Was ist MS?

Mit 2,5 Millionen Betroffenen weltweit gilt die entzündliche Autoimmunerkrankung Multiple Sklerose (MS) bei jungen Erwachsenen als häufigste Erkrankung des zentralen Nervensystems, also des Gehirns und Rückenmarks. Sie beginnt meist zwischen 20 und 40 Jahren, betrifft mehr Frauen als Männer und ist  nicht heilbar. In Deutschland gibt es etwa 220 000 MS-Patienten.  Anzeichen und Verlauf  von MS können  stark variieren, so dass man von  „der Krankheit mit den vielen Gesichtern“ spricht.